FVS ROS 309”Bernhard Kellermann”
Seeunfälle ROS 309
Fangplatz vor Labrador, 55°35'N, 57°02'W
In mir zur Verfügung stehender Literatur ist das Datum der Eishavarie mit dem
22.04.1966 angegeben. Dieses Datum bedeutet, dass die Kollision mit der OELSNITZ
i.V. und diese Eishavarie zeitlich auf ein und derselben Reise geschehen sein muß.
Das Datum des Geschehenen kann ich nicht zurückverfolgen. An diesem Datum habe
ich jedoch meine Zweifel. Auf der anderen Seite bezieht sich meine Literatur auf eine
Seeamtsverhandlung in Rostock mit authentischen Daten. Eigentlich ist der Zeitpunkt
nebensächlich, denn nur das objektive Geschehen soll hier von mir beschrieben werden.
Wir fischten an der Kante eines größeren Eisfeldes mit in der Heckslip gelegten
Kurrleinen. Diese Maßnahme war notwendig, um eine möglichst kurze Distanz
zwischen dem Heck und der eintauchenden Kurrleine zu bilden. Beim Führen der
Leinen über die Hanger war diese Distanz zu groß und es bestand damit die Gefahr
eines Überschleppens von Eisschollen. In den meisten Fällen war dann ein vorzeitiges
Hieven unumgänglich. Überschleppte Schollen haben einen Auftrieb, der das gesamte
Geschirr vom Grund hebt und dabei schwere Netzschäden zur Folge haben kann. Es
ist ein beklemmender Anblick, wenn die Kurrleine auf der Scholle liegt und in
hunderten von Metern Entfernung noch sichtbar bleibt. Am Rande eines Eisfeldes zu
fischen bedeutet, dass nur der fest zusammen geschobenen Eismasse Respekt gezollt
wird. Die sogenannte befischbare Eiskante besteht aus losen dicht zusammen
liegenden Schollen und Minieisbergen, den sogenannten Growlern. Diese liegen flach
im Wasser und verbergen somit ihre wahre Größe zwischen der treibenden
Schollenmasse. Eine andere Form der Eisfischerei findet in sogenannten fast eisfeien
Waken statt. Dies sind fast eisfreie Flächen mit einer Größe von hunderten
Quadratmeilen im Eisgebiet. Schon aus dieser Beschreibung ist ersichtlich, welchen
Strapazen und Schwierigkeiten die Hochseefischer ausgesetzt waren. Wasser, Eis,
Schnee und eine grimmige Kälte bis -25°C machten einem wochen- und monatelang
das Leben schwer.
Dazu kamen dann vor allem auf den Fangplätzen West-Grönlands noch die vielen
Hacker mit schweren Schäden an Netz und Geschirr dazu. Als Synonym für solche
Plätze sehe ich immer noch einen Berg, den so genannten 'Torfkopp' vor mir. Dieser
hohe abgeflachte Berg hat meine Sinne nie mehr verlassen. Den Fischereidienst kann
man noch so verantwortungsvoll und umsichtig durchführen, vor unvorhersehbaren
Ereignissen war man nie sicher. Während des Schleppens in einem eigentlich
übersichtlichen Schollengebiet gab die Netzwinde plötzlich Kurrleine frei und uns war
klar, es war ein saftiger Hacker. Auf der Brücke wurde sofort reagiert und die
Schleppgeschwindigkeit aus dem Schiff genommen und der Verstellpropeller auf Voll
Zurück gestellt. Beim Beginn des Hievvorgangs stellten wir fest, dass wir nur mit
achterlicher Fahrt und gleichzeitigem Hieven von dem Hindernis am Grund
freikommen würden. Die Kurrleinen hatten wir noch in der Slip liegen und bereiteten
deren Aufnehmen in die Hangerrollen vor. Ein Freihieven ist erst möglich, wenn die
Leinen direkt über dem Hindernis stehen. Von der ausgesteckten Leine waren noch
einige hundert Meter im Wasser als plötzlich ein Rumms und eine Erschütterung
durch das Schiff lief. Wir waren auf einen nicht erkennbaren Growler aufgelaufen.
Dieser hat sofort jegliche Fahrt aus dem Schiff genommen und es ging auch nicht
mehr weiter. Da die Hauptmaschine sich notabgeschaltet hatte war ein größerer
Schaden absehbar. Die erste Schadensanalyse ergab, dass wir so schnell wie möglich
das Geschirr freibekommen mußten. Wir führten das Hieven weiter aus und zogen uns
mit der Kraft der Winde über das Hindernis und bekamen das Geschirr frei. Die
Schehrbretter, das Joch und das Grundgeschirr bekamen wir noch an Deck. Das
gesamte Netztuch und der Fang blieben am Grund zurück.
Dieses Bild wurde mir von meinem ehemaligen Kollegen Wolfram Windrich zur Verfügung gestellt
Entscheidend war nach dieser Havarie, dass wir mit einem beschädigten Propeller und
einer schwer beschädigten Ruderanlage manövrierunfähig waren. Da die Eisgrenze in
Luv lag, trieben wir aus dem dichteren Eis heraus und hatten hiermit unwahrscheinliches
Glück. Es folgte eine gründliche Schadensanalyse des Chiefs. Wie er es angestellt kann
ich nicht mehr sagen, ein Propellerflügel und auch das Ruderblatt waren beschädigt.
Im Raum der Ruderanlage war der Schaden des Ruders an der Lage des Ruderquadranten
bereits ersichtlich. Der Ruderschaft war so stark verbogen, dass der Ruderquadrant mit
seinen Zahnflanken ca. 30 cm über dem Zahnritzel des Rudergetriebes in die Höhe stand.
Das bedeutete einen 100% igen Ausfall der Ruderanlage. Nun hieß es erst einmal treibend
und auf eine Weisung aus Rostock über den weiteren Fortgang warten. Wir waren von einem
Werftaufenthalt in einem Nothafen überzeugt.
Als die ersehnte Weisung eintraf, haben wir die Welt nicht mehr verstanden. Die Weisung
besagte, dass wir geschleppt von zwei Typ III Trawlern die Heimreise antreten mußten.
Am ersten Tag des Schleppvorgangs brach die KELLERMANN ständig nach Backbord aus,
denn das Ruder lag auf Backbord 10 und konnte vorerst nicht bewegt werden.
Um einen Gegendruck nach Steuerbord zu erreichen versuchten wir ein Scheerblatt als
Notruder zu benutzen. Diese Versuche schlugen jedoch fehl.
Der Chief ließ dann im Raum der Ruderanlagen Schäkelösen vom Decksschlosser
anschweißen, um mit daran angeschäkelten Taljen den Quadranten zu bewegen.
Dieses Vorhaben gelang nur bedingt, jedoch konnte der Quadrant auf Stellung 'O'
bewegt werden, somit waren die Backbordausflüge der KELLERMANN auf ein Minimum
gesenkt. Es gelang in der Folgezeit sogar eine leichte Ruderlage nach Steuerbord.
Nun wurden, außer der Brückenwache und der Schlepptrossenwache an Deck, noch
vier Kollegen und ein Nautiker im Rudermaschinenraum benötigt. Das bedeutete, dass
bei einem 6stündigen Wachrythmus am Tag 24 Kollegen in den Wachdienst eingebunden
waren. Da mußten auch einige Kollegen der Verarbeitung mit ran. Allein im
Rudermaschinenraum waren pro Schicht 5 Kollegen im schweren Einsatz. Der
Nautiker hielt eine ständige Verbindung per Bordtelefon zur Brücke aufrecht, denn im
Raum der Ruderanlage gab es keine Sicht zur Außenwelt. Ob ein Tochterkompass
vorhanden war weiß ich nicht mehr. Jeweils zwei Kollegen zerrten mit voller Kraft an
jeweils einer Talje. So quälten wir uns die ersten Tage mit ständigen Brüchen der
Schleppverbindung über den Nordatlantik bis die Schleppverbindung durch ständiges
Erhöhen des federnden Schleppgewichts stabil war. Wie lange wir insgesamt unterwegs
waren weiß ich nicht mehr, ob die Trawler uns bis Warnemünde bugsiert haben,
oder irgendwann ein Schlepper anstelle eines Trawlers eingesetzt wurde, ist nicht mehr
in meiner Erinnerung.
Jedenfalls waren wir wieder glücklich am Vormittag in Rostock eingelaufen und
haben im Fischereihafen Marienehe festgemacht.
Nach dieser Reise sind viele altgediente Kollegen aus allen Abteilungen entnervt
abgestiegen. Die folgende Zeit ist aus meinem Gedächtnis wie weggewischt. Ich weiß
nicht wann und wo eine Werftreparatur erfolgte. Ich weiß nur noch, dass ich im Juni
wieder an Bord war zur nächsten Reise.
Kollision mit Growler
erlebt und erzählt von Bernd Leverenz